Portraits

Freiwillige im Einsatz

Familien im Auge des Sturms

Die Zeit von der Geburt bis zum Tod ihrer Tochter Shayen habe sich angefühlt wie in einem Sturm, sagt Janine Hächler. Während achteinhalb Monaten unternahm ihre Familie alles, um das Leiden ihres Kindes zu lindern und seine Lebensqualität zu erhöhen. Dabei unterstützte eine Freiwillige der gemeinnützigen Stiftung pro pallium die Familie.

Für Einsätze in betroffenen Familien werden die Freiwilligen von der Stiftung pro pallium ausgebildet. An sechs Schulungstagen lernen sie viel über Sterbe- und Trauerbegleitung, Entwicklungspsychologie im Kindes- und Jugendalter, Selbstwahrnehmung, Sozial- und Kommunikationskompetenzen sowie Geschwisterbetreuung, Rechtsfragen oder die Abgrenzungsproblematik. Cornelia Mackuth-Wicki, Geschäftsleiterin der Stiftung pro pallium, erklärt: „Bevor die Freiwilligen zur Schulung zugelassen werden, findet ein Erstgespräch statt. Wir zeigen auf, dass ein solcher Einsatz eine grosse persönliche Herausforderung sein kann“. Die Freiwilligen sollten mit beiden Füssen im Leben stehen. Sie müssen über eine längere Zeit bereit sein, eine Familie zu entlasten. Steht ein Einsatz kurz bevor, wird er mit grösster Sorgfalt vorbereitet. Koordinatorin und Freiwillige von pro pallium definieren gemeinsam mit der Familie die Aufgaben des Einsatzes sowie die Einsatzzeiten. Und: „Es ist wichtig, dass die Familie die Fäden in der Hand hält und nicht die Freiwillige das Zepter übernimmt“, ergänzt Cornelia Mackuth-Wicki. Ziel des Einsatzes sei es einerseits, die Familie zu stärken. Andererseits müssten die Eltern entlastet werden, weil sie oftmals neben einem kranken Kind auch gesunde Kinder hätten.

Umfassendes Vertrauen in die Freiwillige

Janine Hächler erzählt, sie habe viel Glück gehabt mit ihrer Freiwilligen. „Zu Beginn habe ich mit ihr sehr viel gesprochen und sie auch beobachtet im Umgang mit Shayen. Wir tickten als Familie im Sturm ganz anders und waren extrem verletzlich“. Die Gespräche und Beobachtungen hätten geholfen, Vertrauen zur Freiwilligen aufzubauen. Diese müssen offen, unvoreingenommen und ehrlich sein. Fehlen diese Eigenschaften, kann eine Zusammenarbeit zur Belastung werden. Janine Hächler sagt: „Auch ich war sehr ehrlich und offen zur Freiwilligen und dem ganzen 16-köpfigen Team der Kinderspitex, das uns unterstützte“.

Wickeln, Schoppen geben, spazieren gehen – diese und weitere Aufgaben übernahm die Freiwillige in dieser intensiven Zeit. Die Monate waren geprägt von enormer Anspannung, Ängsten, Konflikten, schwierigen Entscheidungen und organisatorischen Problemen. Die Freiwillige wurde über das Notfallprozedere aufgeklärt und traute sich zu, Shayen im Ernstfall ein Medikament zu verabreichen. Janine Hächler und ihr Mann konnten so diverse Termine bei Ärzten oder bei der Psychologin wahrnehmen. Auch konnten sie sich dank des Einsatzes der Freiwilligen Zeit für ihre gesunde Tochter und für sich nehmen und immer wieder Kraft tanken. Manchmal hielten sie inne und erlebten gar Momente des Glücks.

pro pallium unterstützt bei Grenzerfahrungen

Stossen die Freiwilligen mit der Situation und den Aufgaben an ihre Grenzen, steht ihnen pro pallium zur Seite. Die Organisation bietet den Freiwilligen verschiedene Austauschmöglichkeiten: Einzelgespräche mit den zuständigen, regionalen Koordinatorinnen oder auch mit Cornelia Mackuth-Wicki. Die Geschäftsleiterin verfügt über ein breites Wissen im Bereich Palliativ Care. Auch können sich die Freiwilligen bei den von den Koordinatorinnen veranstalteten Treffen mit anderen Freiwilligen austauschen. „Die Freiwilligen sind sehr interessiert an einem Austausch, um gemeinsam über ihre persönlichen Erfahrungen zu sprechen, den objektiven Blick zu bewahren und um ihr Wissen im Thema zu vertiefen.“, ergänzt die Geschäftsleiterin.

„Ich bin der Freiwilligen, die unsere Familie im Sturm entlastet hat, sehr dankbar“, sagt Janine Hächler. Nach dem Tod von Shayen im Frühling 2017 besuchte sie in Olten die Trauergruppe von pro pallium. Und seit Kurzem engagiert sie sich selber als Stiftungsrätin für pro pallium. „In der Schweiz gibt es noch viel Luft nach oben im Bereich Palliative Care für Kinder. Meine eigene Betroffenheit motiviert mich, die Stiftung schweizweit zu stärken“, sagt sie. Auch Cornelia Mackuth-Wicki möchte, dass mehr Familien, die einen Alltag zwischen Sterben und Weiterleben meistern müssen, durch Freiwillige der Stiftung entlastet werden können. „Deshalb strebe ich eine noch breitere Abstützung bei Kinderspitälern und Fachhochschulen an“, führt sie aus.

Bild: Freiwillige von pro pallium beim Einsatz in einer Familie