Portraits

Freiwillige im Einsatz

Wenn Freiwillige die letzte Hoffnung sind

Die Geschichte ist bruchstückhaft, nicht authentisch, aber wahr – könnte es zumindest sein; in dieser Art gibt es unzählige Beispiele.

Frau M. kommt mit einer Tasche voll Papieren in den Schreibservice, sie wirkt «fahrig», spricht ziemlich wirr, in einem nicht leicht verständlichen Deutsch. Seit Monaten versucht sie ihre Probleme mit dem Sozialdienst, mit Wohnungsvermietern, ehemaligen Arbeitgebern, Ärzten und diversen anderen Stellen zu lösen. Sie fühlt sich in vielen Dingen hintergangen, übervorteilt, ungerecht behandelt, nicht ernst genommen. Der Sozialdienst verteidigt seine Zahlungen, betont Eigenverschulden bezüglich der Kürzungen. Der Arzt verschreibt Medikamente, die Verwaltung löst die Betreibung aus, diverse Stellen haben die Unterstützung verweigert, weil angebotene Hilfe auch schon mal ausgeschlagen wurde. Alles dreht sich um wirre Geschichten, die sich im Kreise drehen und die niemand mehr versteht. Frau M. ist verzweifelt. Sie erhofft sich, mithilfe der freiwillig Engagierten und weiteren Briefen endlich Verständnis zu finden und zu ihrem Recht und ihrer Ruhe zu kommen. Welche Herausforderungen stellen sich der Zivilgesellschaft, den freiwillig Engagierten, die bereit sind sich für diese Menschen einsetzen?

Auf Augenhöhe mit Hilfesuchenden
Was passiert mit Menschen, die von Professionellen im Stich gelassen werden, weil sie zu viele Dossiers bearbeiten müssen, weil sie ihre Aufgabe darin sehen, Menschen möglichst schnell und ohne allzu grossen Aufwand in unsere funktions- und leistungsorientierte Gesellschaft zu integrieren?
Verletzliche oder vulnerable Personen oder Gruppen sind schutzlos oder leben in Unsicherheit. Sie sind Schocks und Stressfaktoren ausgesetzt und haben Schwierigkeiten, sie zu bewältigen, sei es aus Mangel an materiellen Ressourcen oder aus Umständen, die den Betroffenen die gleichberechtigte Teilhabe und Teilnahme an Wohlstand und Glück verwehren, indem ihnen Wissen fehlt, Unterstützung vorenthalten wird oder weil sie nicht ausreichend in soziale Netzwerke eingebunden sind.

Dies trifft im Besonderen auf – wenn auch nicht auf alle – geflüchteten Menschen zu und fordert von freiwillig Tätigen besonderes Augenmerk. Geflüchtete Menschen sind nicht per se hilflos. Die Situation, in die sie geraten sind, macht einige hilflos oder hilfebedürftig.

Freiwilliges Engagement ist im Kontext der aktuellen Flüchtlingspolitik unentbehrlich geworden. Freiwilligenarbeit hat jedoch auch Grenzen und Gefahren: Oft springt sie in Lücken fehlender sozialstaatlicher Unterstützung oder hilft den Druck abzumindern, der durch entwürdigende und isolierende Lebenssituationen entsteht.

Reflexion
Das Engagement für Geflüchtete ist bereichernd, kann aber auch belastend und anstrengend sein. Die Begegnungen sind immer von Asymmetrien geprägt. Es sind Menschen mit ganz unterschiedlichen Biografien und Lebenssituationen. Daraus ergeben sich für die freiwillig Engagierten immer wieder Überraschungen und Irritationen, die häufig mit «der anderen Kultur» erklärt werden. Dies ist der Boden für Stereotypisierungen und führt zu Vorurteilen. Um dies zu vermeiden, ist es wichtig, eine zuhörende und fragende Haltung zu erlernen. Geflüchtete Menschen sind handelnde Subjekte, die eigene Entscheidungen treffen können.

Zivilgesellschaftliches Engagement auf lokaler Ebene fördert eine offene, solidarische Gesellschaft. Gleichzeitig besteht zwischen den Helfenden und den Hilfeempfangenden ein Machtgefälle welches paternalistische oder koloniale Denkmuster begünstigt und aus dem Abhängigkeiten entstehen können. Eine Begegnung auf Augenhöhe ist schwierig zwischen einer Person, die dringend auf Hilfe angewiesen ist, und der Person, die in der Lage ist zu helfen, dies im Besonderen, da meist eine materielle und rechtliche Ungleichheit besteht. Daher ist eine wiederkehrende Reflexion über die eigene Rolle und Haltung notwendig.

Die Schweiz als Land des Humanismus porträtiert zu sehen, befremdet, denn wir wissen, dass all diese Werte wie Emanzipation, Gleichberechtigung und Freiheit, so positiv und wichtig sie auch sein mögen, nicht für alle gelten. Daher ist die beste Hilfe letztlich die, die für gleiche Rechte sorgt. Die zweitbeste springt bis dahin ein und versucht sich gleichzeitig überflüssig zu machen.

Die Zivilgesellschaft hat daher auch eine politisch-aktivistische Aufgabe, indem sie die politischen Entwicklungen verfolgt, sich einbringt und sich für ein Miteinander auf Augenhöhe einsetzt.

Wie bitte?

Engagierte Freiwillige rechnen in der Regel damit, dass Unterstützungssuchende dankbar für jede Hilfe und für Ratschläge sind. Doch was ist, wenn Yasmina über die gut gemeinte Spende irritiert ist, Maliq einen Termin nicht einhält, Nasir unwillig zur Theatergruppe kommt oder Sahar nichts mit dem Ratschlag von Mike anfangen kann? Es entstehen Enttäuschung und Irritation – auf beiden Seiten. Das Erklärvideo des Netzwerks «Rassismuskritische Migrationspädagogik BW» führt Stolpersteine vor Augen, die Website www.rassismuskritik-bw.de bietet hervorragende Schulungsunterlagen für Weiterbildungen für Freiwillige und bezahlte Mitarbeitende im Asylbereich.

Autorin: Christine Brassel, benevol Biel