Herr Arnold, wie steht es um das freiwillige Engagement in der Schweiz? Haben wir Grund zur Hoffnung oder Grund zur Sorge?
Beides. Social Media und das ganze Drumherum könnten einem schon Sorgen machen. Auf der anderen Seite habe ich Hoffnung, wenn ich sehe, wie vielfältig das Engagement ist und wie viele junge Menschen mitmachen. Sie tun das vielleicht einfach auf andere Weise, als wir es gewohnt sind. Oft suchen sie kurzfristige Einsätze und möchten relativ schnell konkrete Ergebnisse sehen. Bei Social Media sehe ich allerdings eine Tendenz zur Vereinsamung. Diese Gewohnheit steht dem Gemeinschaftssinn im Weg.
Was hat Sie dazu bewogen, über dieses Thema ein Buch zu schreiben?
Das Buch ist über die Zeit gereift, aus vielen Fragen heraus wie: «Wie kann unsere Gesellschaft zukunftsfähig werden?» oder «Wie begegnen wir den Herausforderungen der Gegenwart?» Meine Recherchen und Studien zeigen: Je höher das Sozialkapital, desto resilienter sind wir als Gemeinschaft.
Wie haben Sie die Menschen und Geschichten ausgewählt, die im Buch porträtiert werden?
Mir war wichtig, einen Überblick über die ganze Schweiz zu geben und das breite Spektrum des Engagements zu zeigen. Die ganz grossen Organisationen habe ich bewusst weggelassen. Stattdessen kommen Menschen zu Wort wie eine Dorfchronistin, jemand von der Blutspende oder Engagierte aus einer gemeinsamen Werkstatt, wo Werkzeuge geteilt werden und es sogar ein Tonstudio gibt.
Welche Geschichte hat Sie besonders berührt?
Die Tutorinnen und Tutoren im Tessin. Sie besuchen ältere Menschen in abgelegenen Tälern. Sie sind ganz nah dran an den Bedürfnissen dieser Menschen und gleichzeitig ein Mittel gegen Einsamkeit. Es sind wichtige Vernetzer in der Region.
In Ihrem Buch sprechen Sie vom «gesellschaftlichen Potenzial» der Freiwilligenarbeit. Wird dieses Potenzial Ihrer Meinung nach ausreichend genutzt und anerkannt?
Leider nein. Freiwilligenarbeit wird oft als selbstverständlich angesehen. Da haben wir Nachholbedarf. Sie verdient mehr Anerkennung.
Sie engagieren sich selbst in verschiedenen Projekten. Was treibt Sie an, auch ehrenamtlich aktiv zu sein?
Ich wurde vor bald 20 Jahren vom WWF angefragt und habe spontan zugesagt. Meine Kinder waren noch klein, und ich wollte, dass sie in einer intakten Welt aufwachsen. Später kam ein Kita-Projekt in Douala (Kamerun) dazu. Dort kümmere ich mich um die Finanzierung und viele andere Dinge.
Gibt es neue Formen der Freiwilligenarbeit, die Sie besonders spannend finden oder die Sie bei Ihren Recherchen überrascht haben?
Ich finde Projekte zukunftsweisend, bei denen Menschen Zeit oder Dinge miteinander teilen. Sie schonen einerseits Ressourcen und bringen andererseits Menschen zusammen, die sich gegenseitig unterstützen. Ideal ist ein Projekt, wenn auch Migrantinnen und Migranten dabei sind. Diese Gruppe fremdelt noch etwas mit dem freiwilligen Engagement.
Was sagen Sie Menschen, die sich zwar engagieren möchten, aber glauben, sie hätten keine Zeit oder nicht die «richtigen» Fähigkeiten?
Dazu gibt es ein Kapitel in meinem Buch: «Sinnhaftigkeit und Streben nach Glück». Für einige Menschen ist es ganz selbstverständlich, sich für andere einzusetzen. Allen anderen sollten wir zeigen, was sie davon haben: Sie gewinnen Zufriedenheit, können neue Kompetenzen entwickeln und Freundschaften knüpfen.
Sie schreiben, der Freiwilligenarbeit steht eine interessante Zukunft bevor. Wie meinen Sie das?
Wenn wir nur schon über KI und Klimawandel reden, dann merken wir, wie rasant sich die Welt verändert. Das betrifft auch den Arbeitsmarkt. Vielleicht werden künftig mehr Menschen Zeit für Freiwilligenarbeit haben und das wird auch nötig sein. Der Bedarf wächst, und wir sollten uns darauf vorbereiten. Ich bin überzeugt: Gerade die selbstorganisierte Freiwilligenarbeit wird viele Lösungen bringen.
Herr Arnold, vielen Dank für das Gespräch.
Buchvernissage: Martin Arnold «Vom Ich zum Wir»
Mittwoch, 11. Juni, 19:00 Uhr
Stadtbibliothek St.Gallen, Bibliothek Hauptpost